Freitag, 29. April 2016

Das UTS - näher als man denkt...

Es ist wirklich unglaublich, wenn man bedenkt, dass nur 2% aller Babies die Schwangerschaft überhaupt überstehen, wenn sie das UTS haben, dass Tobi und ich eine Frau kennen, die UTS hat...

Da Tobi und ich uns natürlich viel mit dem Syndrom beschäftigt haben als wir erfahren haben, dass unsere kleine Pauline diese Chromosomenanomalie hat, betrachtet man Frauen mit einem anderen Blick, die vielleicht etwas kleiner sind. Wir haben auf der Arbeit zwei super nette Kolleginnen, die beide gerade mal 1,50m groß sind. Wir haben schon öfters darüber gesprochen, ob vielleicht eine dieser beiden Frauen eventuell das UTS haben könnte, aber zu einem Schluss sind wir da nicht gekommen.

Einen Tag fragte Tobi eine der beiden Frauen einfach, ob sie das Ullrich-Turner-Syndrom kennen würde. Ich nenne die Kollegin hier jetzt einfach Martina, das ist aber nicht ihr richtiger Name. Es hat ihn einfach zu sehr beschäftigt und er wollte es gerne wissen. Ich glaube ich hätte mich nicht getraut sie einfach darauf anzusprechen, aber interessiert war ich natürlich auch. Ich möchte doch gerne so viel wie möglich über dieses Syndrom wünschen und wer könnte mir dabei besser helfen es zu verstehen als eine Betroffene selbst... Martina hat sehr überrascht reagiert und Tobi merkte sofort, dass er ins Schwarze getroffen hat. Es war ihr wohl unangenehm und Tobi war sofort klar, dass Martina das Syndrom nicht nur kennt, sondern es wohl selbst hat. Um ihr die Angst und diese unwohle Gefühl zu nehmen, sagte er direkt, dass unsere Pauline es hatte und wir uns viel damit beschäftigt haben. Martina war erleichtert. Sie wusste wohl vorher nicht, was Tobi über das UTS denkt und als sie gemerkt hat, dass es für ihn überhaupt nichts Schlimmes ist, fiel es ihr leicht darüber zu reden. Martina ist nun schon um die 50 und erzählte, dass das UTS in ihrem Leben keine allzu große Rolle gespielt hat. Sie kam gesund zur Welt und war als Kind schon immer etwas kleiner, aber die Ursache dafür wurde nicht untersucht und dementsprechend auch nicht diagnostiziert. Mit 10 bekam sie dann Wachstumshormone, da ihr nur eine Größe von 1,35m vorausgesagt wurde, aber es sind dann doch stolze 1,50m geworden. Erst mit Mitte 20 hat sie erfahren, dass sie das UTS hat und auch keiner Kinder bekommen kann. Martina hat einen verständnisvollen Mann, der dies akzeptierte und mit dem sie nun schon sehr lange verheiratet und glücklich ist. Ansonsten gibt es nicht viel zu erzählen von Martinas Seite zum UTS. Sie hat sich nie intensiv damit beschäftigt, da ihr Leben unbeschwert war bis auf die Größe. Martina hat zwar auch Probleme mit den Ohren, aber das haben ja auch Menschen ohne UTS, also auch kein Grund für sie sich weiter mit dem UTS zu beschäftigen.
Als Tobi mir abends erzählte, dass er Martina auf das UTS angesprochen hat, kamen mir sofort die Tränen. Es ist so schön zu sehen, dass Frauen mit dem UTS ein ganz normales Leben führen können. Natürlich habe ich schon von vielen netten Müttern von UTS Kämpferinnen oder Betroffenen selbst gehört wie "normal" ihr Leben ist, aber nun kenne ich selbst jemanden, der betroffen ist. Martina ist durch ihre Größe aufgefallen, aber ansonsten war sie für mich eine Kollegin wie jede/r andere/r auch.

Tobi und ich sind ja recht offen mit der Schwangerschaft umgegangen, auch als wir schon wussten, dass Pauline das UTS hat, aber wir haben ja nie gesagt, was Pauline genau hat. Wir wollten nicht, dass unsere Kollegen sich an den PC setzen und das Syndrom googlen, um dann Fehlinformationen und Horrorgeschichten zu finden! Jetzt im Nachhinein bin ich doppelt froh, dass wir es für uns behalten haben. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie das für Martina gewesen wäre, wenn alle um sie herum das UTS googlen und sie dann vielleicht auch noch mitbekommt, wie der ein oder andere seine Meinung, die vielleicht nicht unserer entspricht, offen herausbölkt... Zum Glück haben wir es so gemacht, wie wir es gemacht haben! Aber Martina geht nun auch offener mit dem UTS um, das finde ich echt klasse! Sie hat es bei sich im Büro erzählt und ich denke, dass es ihr nun damit besser geht und sie vielleicht doch mal in der ein oder anderen Situationen etwas mehr Verständnis erfährt. Und das ist Paulines Verdienst! Pauline hat nicht nur Tobis und mein Leben und unsere Ansichten verändert, sondern auch noch die von vielen anderen Menschen und darauf bin ich sehr stolz!

Letzte Woche habe ich dann mit Martina über das UTS gesprochen... Ich wollte sie nicht direkt ansprechen, da ich mir anfangs nicht sicher war, ob sie das möchte, aber Martina hat mir dann deutlich gemacht, dass sie kein Problem hat mit mir darüber zu sprechen. Ich bewundere Martina wirklich! Ich sehe sie mit anderen Augen als vorher! Martina genießt ihr Leben, fährt viel in den Urlaub und nimmt viel mit ihrem Mann. Ihr geht es gut! Das war sehr schön für mich zu hören! Natürlich sagte sie mir auch, dass es als Kind nicht immer leicht war so klein zu sein, weil Kinder nun mal sehr gemein sein können... Aber sie hat das alles super gemeistert und ist in ihrem Leben angekommen. Ich hatte mir erst erhofft etwas mehr über das UTS zu erfahren, um mehr über Pauline zu wissen, aber in Martinas Leben spielt es keine große Rolle und das ist eigentlich das Beste, was ich hören konnte - dass ihr Leben so "normal" ist! Martina wusste nicht einmal, dass nur 2% der Babies die Schwangerschaft überleben und sagte ganz stolz, dass sie ja dann richtig Glück gehabt hat und ich sagte ihr dann, dass sie eine richtige Kämpferin ist!

Die andere Kollegin hat das Syndrom übrigens nicht. Martina hatte sie mal darauf angesprochen.

Ich denke es ist Schicksal, dass wir Martina kennen und sie das UTS hat... Ich habe es nicht nur von anderen gehört, sondern selbst gesehen, dass UTS-Frauen wirklich wie jede andere Frau ihr Leben führen können (bis auf die Schwangerschaft auf natürlichem Weg)! Es gibt genug Arbeitskollegen bei uns auf der Arbeit, die nichts von Martinas fehlendem X-Chromosom wissen und dies auch nicht ansatzweise vermuten! Sie ist eine vollwertige Kollegin und Frau!

... und ich bin mir sicher, dass Pauline auch eine so starke Frau geworden wäre!


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